Zusammenfassung
Die Globale Polio-Eradikationsinitiative, ein Zusammenschluss internationaler Gesundheitsorganisationen, berichtet über neue Fälle von Wild-Poliovirus (WPV1) und zirkulierenden impfstoffabgeleiteten Polioviren (cVDPV) in verschiedenen Ländern. Betroffen sind Pakistan, Benin, Tschad, Dschibuti, Äthiopien, Tansania und der Jemen.
Beschreibung der Erkrankung
Poliomyelitis, umgangssprachlich Kinderlähmung, ist eine hochansteckende Viruserkrankung, die durch Polioviren verursacht wird. Es gibt drei Serotypen (Typ 1, 2 und 3), wobei Typ 1 am häufigsten Lähmungen verursacht.
Art des Erregers: Polioviren sind unbehüllte RNA-Viren aus der Familie der Picornaviridae, Gattung Enteroviren.
Übertragungsweg: Die Hauptübertragung erfolgt fäkal-oral durch Schmierinfektion (Hände-Mund), insbesondere unter schlechten hygienischen Bedingungen. Eine Übertragung über kontaminiertes Wasser ist in Gebieten mit unzureichender Wasseraufbereitung ebenfalls möglich. Kurz nach der Infektion ist auch eine Übertragung über Tröpfchen (Husten, Niesen) möglich, dies ist jedoch seltener. Das Virus kann im Stuhl über Wochen bis Monate ausgeschieden werden.
Symptome: Mehr als 70 % der Infektionen verlaufen asymptomatisch. Bei einem kleinen Teil (4-8 %) treten unspezifische, grippeähnliche Symptome wie Fieber, Halsschmerzen, Abgeschlagenheit, Übelkeit und Erbrechen auf. In seltenen Fällen (2-4 %) kann es zu einer nicht-paralytischen Hirnhautentzündung (aseptische Meningitis) mit Fieber, Nackensteifigkeit und Kopfschmerzen kommen. Die schwerste Form, die paralytische Poliomyelitis (0,1-1 % der Infizierten), führt zu schlaffen, asymmetrischen Lähmungen der Muskulatur, oft in Armen und Beinen, aber auch des Rumpfes, der Harnblase oder Atemmuskulatur.
Komplikationen: Dauerhafte Lähmungen sind die gefürchtetste Komplikation. Bei Befall der Atemmuskulatur kann die Krankheit tödlich verlaufen (Sterblichkeitsrate bei Kindern 2-5 %, bei Erwachsenen 15-30 %). Jahre bis Jahrzehnte nach der akuten Infektion kann ein Post-Polio-Syndrom mit zunehmender Muskelschwäche und -atrophie auftreten.
Therapiemöglichkeiten: Es gibt keine spezifische antivirale Therapie gegen Poliomyelitis. Die Behandlung ist symptomatisch und unterstützend. Physiotherapie und orthopädische Maßnahmen können die Folgen der Lähmungen lindern.
Aktuell wurde in Pakistan ein klinischer Fall von WPV1 gemeldet, zusammen mit sieben positiven Umweltproben aus vier Provinzen, was auf eine weiterhin signifikante Zirkulation hinweist. Die globalen WPV1-Fälle im Jahr 2025 sind mit 14 Fällen höher als im gleichen Zeitraum 2024 (11 Fälle).
Impfstoffabgeleitete Polioviren (cVDPV) wurden in Benin (ein Fall, insgesamt 3 in 2025), Äthiopien (ein Fall, insgesamt 33 in 2025) und dem Jemen (ein Fall, insgesamt 3 in 2025) nachgewiesen, sowie in Umweltproben aus Tschad, Dschibuti und Tansania. Die Gesamtzahl der globalen cVDPV-Fälle im Jahr 2025 beträgt 77, unverändert zum Vorjahr. Die anhaltende Detektion des Poliovirus unterstreicht die dringende Notwendigkeit nachhaltiger Impfkampagnen.
Bewertung der Situation
Die Situation verdeutlicht, dass Polio weltweit noch nicht ausgerottet ist und weiterhin eine Gefahr darstellt, insbesondere in Regionen mit unzureichenden Impfquoten und schlechter Hygiene. Die Zirkulation sowohl von Wild- als auch von impfstoffabgeleiteten Viren ist besorgniserregend.
Auswirkungen auf die einheimische Bevölkerung: In den betroffenen Ländern besteht ein hohes Risiko für Infektionen und damit verbundene schwere Erkrankungen und dauerhafte Lähmungen, insbesondere für ungeimpfte Kinder. Die Belastung für Gesundheitssysteme ist erheblich. Sozioökonomische Faktoren wie Armut, politische Instabilität und Konflikte tragen zur Persistenz und Ausbreitung von Polio bei.
Auswirkungen auf Reisende: Reisende in die genannten Risikogebiete haben ein erhöhtes Infektionsrisiko, wenn ihr Impfschutz nicht ausreichend ist. Sie könnten das Virus unwissentlich in poliofreie Regionen einschleppen. Länder wie Saudi-Arabien oder Indien haben bereits Impfvorschriften für Reisende aus Risikogebieten eingeführt.
Auswirkungen auf Deutschland: Obwohl Deutschland seit 1990 als poliofrei gilt und der letzte Fall einer im Ausland erworbenen Infektion 1992 gemeldet wurde, stellt die globale Zirkulation eine potenzielle Einschleppungsgefahr dar. Polioviren wurden in der Vergangenheit bereits im Abwasser deutscher Städte nachgewiesen, was die Notwendigkeit einer hohen Impfquote in der Bevölkerung unterstreicht, um Ausbrüche bei einer Einschleppung zu verhindern. Das Risiko einer Ansteckung in Deutschland ist für vollständig Geimpfte weiterhin äußerst gering.
Auswirkungen auf Unternehmen: Unternehmen, die Mitarbeiter in die betroffenen Regionen entsenden, müssen die Gesundheitsrisiken ernst nehmen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen. Dies beinhaltet die Sicherstellung des Impfschutzes der Mitarbeiter und die Bereitstellung von Informationen zu Hygienemaßnahmen. Eine mögliche Ausbreitung könnte zu Reisebeschränkungen oder erhöhten Gesundheitsausgaben führen.
Empfehlungen
Maßnahmen zum Gesundheitsschutz für Reisende:
Impfschutz überprüfen und aktualisieren: Reisende, insbesondere in Risikogebiete, sollten ihren Polio-Impfstatus überprüfen. Eine vollständige Grundimmunisierung und eine Auffrischungsimpfung sind dringend empfohlen, falls die letzte Impfung länger als 10 Jahre zurückliegt. Bei Reisen von mehr als 4 Wochen in bestimmte Risikogebiete kann eine Impfung 4 Wochen bis 12 Monate vor Ausreise erforderlich sein.
Gute Hygiene einhalten: Regelmäßiges und gründliches Händewaschen mit Wasser und Seife (insbesondere nach dem Toilettengang und vor dem Essen) ist essentiell, da die Übertragung primär fäkal-oral erfolgt.
Sichere Lebensmittel und Wasser: Nur abgekochtes Wasser oder original verschlossene Flaschengetränke konsumieren. Keine Eiswürfel in Getränke geben. Auf hygienisch einwandfreie Zubereitung von Speisen achten (Cook it, peel it, boil it or forget it!).
Reisemedizinische Beratung: Vor jeder Reise in Risikogebiete sollte eine reisemedizinische Beratung bei einem Arzt erfolgen, idealerweise 4 bis 8 Wochen vor Reiseantritt.
Maßnahmen zum Gesundheitsschutz für Unternehmen:
Impfstatus der Mitarbeiter sicherstellen: Unternehmen sollten sicherstellen, dass Mitarbeiter, die in Risikogebiete reisen oder dort eingesetzt werden, über einen vollständigen Polio-Impfschutz verfügen und dieser regelmäßig aufgefrischt wird.
Arbeitsmedizinische Vorsorge: Eine arbeitsmedizinische Vorsorge durch einen qualifizierten Betriebsarzt oder Tropenmediziner ist für Mitarbeiter bei Auslandseinsätzen in Risikogebieten verpflichtend und sollte auch Informationen zur Poliomyelitis beinhalten.
Aufklärung und Sensibilisierung: Mitarbeiter sollten umfassend über die Risiken, Übertragungswege und Präventionsmaßnahmen von Poliomyelitis informiert werden.
Bereitstellung von Hygienemitteln: Sicherstellung des Zugangs zu adäquaten Hygienemitteln (Seife, Desinfektionsmittel, sicheres Trinkwasser) am Einsatzort.
Überwachung der Gesundheitslage: Unternehmen sollten die aktuellen Reise- und Sicherheitshinweise sowie die epidemiologische Lage in den Zielländern kontinuierlich verfolgen.
Link:
Global Polio Eradication Initiative. Polio This Week. Country updates as of 25 Jun 2025.
Die globale Poliomyelitis-Situation: Ein entscheidender Moment im Kampf gegen die Kinderlähmung (Juni 2025)
Der Kampf gegen Poliomyelitis, besser bekannt als Kinderlähmung, befindet sich im Juni 2025 an einem entscheidenden Punkt. Obwohl seit der Einführung der Global Polio Eradication Initiative (GPEI) im Jahr 1988 enorme Fortschritte erzielt wurden und die Fälle von Wildpoliovirus um über 99 % zurückgegangen sind, bleibt das Endziel der vollständigen Ausrottung weiterhin eine Herausforderung. Die aktuellen Entwicklungen zeigen eine komplexe Lage, geprägt von anhaltenden Wildpoliovirus-Übertragungen in wenigen endemischen Ländern und einem besorgniserregenden Anstieg von zirkulierenden impfstoffabgeleiteten Polioviren (cVDPV) in verschiedenen Regionen.
Wildpoliovirus (WPV1): Die letzten Bastionen
Aktuell ist die Übertragung des Wildpoliovirus Typ 1 (WPV1) auf zwei Länder begrenzt: Afghanistan und Pakistan. Diese beiden Nationen bleiben die letzten endemischen Gebiete, in denen das Wildvirus zirkuliert.
Anstieg der Fälle in Afghanistan und Pakistan: Das Jahr 2024 war in beiden Ländern von einem deutlichen Anstieg der WPV1-Fälle geprägt. Afghanistan verzeichnete 23 Fälle, was einem Anstieg von 283 % gegenüber 2023 entspricht, während Pakistan mit 63 Fällen einen Anstieg von 550 % sah. Bis April 2025 wurden in diesen Ländern bereits 3 weitere WPV1-Fälle gemeldet. Auch die Umweltüberwachung, die das Virus in Abwasserproben nachweist, zeigt eine anhaltende Zirkulation. Im Jahr 2024 wurden 741 positive Umweltproben (113 in Afghanistan, 628 in Pakistan) registriert, und bis Anfang 2025 kamen weitere 80 hinzu.
Geographische Ausbreitung und Wiederauftreten: Die Übertragung von WPV1 hat sich in diesen Ländern auf neue Provinzen und Distrikte ausgebreitet und sich in historischen Reservoirs wie Kandahar (Afghanistan) sowie Peschawar, Karachi und Quetta Block (Pakistan) wieder etabliert.
Herausforderungen bei der Impfung: Trotz massiver Impfanstrengungen bleibt die Erreichung einer Durchimpfungsrate von 95 % für die Herdenimmunität in diesen Regionen schwierig. Faktoren wie weite Entfernungen, Unsicherheit, bewaffnete Konflikte und tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber Impfkampagnen erschweren die Arbeit der Gesundheitsteams. Insbesondere in Afghanistan wurden im Jahr 2024 Impfprogramme zweimal unterbrochen und die Verabreichung von Impfstoffen auf Moscheen und Dorfzentren beschränkt, wodurch Tür-zu-Tür-Kampagnen eingestellt wurden, die für das Erreichen jedes Kindes unerlässlich sind.
Zirkulierende impfstoffabgeleitete Polioviren (cVDPV): Eine wachsende Bedrohung
Neben dem Wildpoliovirus stellen die zirkulierenden impfstoffabgeleiteten Polioviren (cVDPV) eine erhebliche Bedrohung dar. Diese Varianten können in Gemeinschaften entstehen und sich ausbreiten, in denen zu wenige Menschen gegen Polio geimpft sind. Der ursprünglich abgeschwächte Impfstoffstamm mutiert, wenn er über einen längeren Zeitraum von Person zu Person zirkuliert, und kann schließlich zu einer lähmenden Form des Virus werden.
Globale Ausbrüche: Im Zeitraum Januar 2023 bis Juni 2024 wurden insgesamt 74 cVDPV-Ausbrüche in 39 Ländern festgestellt, mit 672 bestätigten Fällen von akuter schlaffer Lähmung (AFP). Obwohl die Zahl der AFP-Fälle im Vergleich zu 2022 gesunken ist, blieb die Anzahl der betroffenen Länder nahezu gleich.
Fokus auf cVDPV2: Insbesondere Ausbrüche von cVDPV2 stellen weiterhin eine große Herausforderung dar, vor allem in Teilen Afrikas und des Nahen Ostens. Länder wie Nigeria, Angola, Äthiopien, Niger, Südsudan, Jemen, Tschad und Algerien haben 2024 und Anfang 2025 einen Anstieg der cVDPV2-Fälle gemeldet.
Neue Gebiete: Alarmierend sind auch jüngste Nachweise von Poliovirus in Regionen, die lange als poliofrei galten, darunter in Gaza und mehreren europäischen Städten im Jahr 2024. Dies unterstreicht das Risiko, dass Polio überall eine Gefahr darstellt, solange es irgendwo noch existiert.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Mehrere Faktoren erschweren die endgültige Ausrottung von Polio:
Finanzierungslücke: Das globale Polio-Ausrottungsprogramm steht vor einer erheblichen Budgetkürzung, die die Bemühungen um die Ausrottung des Virus gefährdet.
Konflikte und humanitäre Krisen: Ein Großteil der im Jahr 2023 von Polio betroffenen Kinder lebte in fragilen und von Konflikten betroffenen Ländern. Kriege und Krisen, wie im Sudan, zerstören die Gesundheitsinfrastruktur und führen zum Zusammenbruch der Routineimpfungen, was die Ausbreitung des Virus begünstigt.
Mangelnde Impfstoffakzeptanz und Fehlinformationen: Tief verwurzelte Misstrauen und Fehlinformationen über Impfstoffe bleiben ein ernstes Hindernis, insbesondere in abgelegenen und schwer zugänglichen Gebieten.
Anpassung der Strategien: Die Strategie zur Ausrottung von Polio muss kontinuierlich angepasst werden. Die WHO und ihre Partner drängen auf intensivierte Impfkampagnen, insbesondere auf Haus-zu-Haus-Besuche und die Rekrutierung von weiblichen Impfhelfern, um die Akzeptanz in den Gemeinden zu erhöhen. Die Integration von Polio-Funktionen in breitere Gesundheitssysteme und ein kontinuierlicher Fokus auf Routineimpfungen werden als wesentlich für die Ausrottung und langfristige Prävention angesehen.
Fazit
Die globale Poliomyelitis-Situation im Juni 2025 ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Weg zur vollständigen Ausrottung des Virus noch nicht beendet ist. Die Erfolge der Vergangenheit sind immens, aber die verbleibenden Herausforderungen in Afghanistan und Pakistan sowie die Ausbreitung von impfstoffabgeleiteten Viren in anderen Regionen erfordern weiterhin höchste Wachsamkeit und Engagement. Eine nachhaltige politische und finanzielle Unterstützung, die Überwindung von Zugangsbarrieren in Konfliktgebieten und die Stärkung der Routineimpfungen weltweit sind entscheidend, um das Ziel einer poliofreien Welt zu erreichen – damit kein Kind mehr an dieser vermeidbaren Krankheit leiden muss.
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